Quoted from Als Mutter muss man nicht allein sein – DiePresse.com
diepresse.com vom 10.12.2024
Als Mutter muss man nicht allein sein
Die Forschung zu Vereinbarkeiten in der Wissenschaft schreitet voran, doch es gibt wenig Sichtbarkeit der Mütter, die studieren oder forschen. Jetzt bildet sich ein sinnvolles Netzwerk.
Mütter in der Forschung leben den Kindern auch gerechte Geschlechterrollen vor. Bisher gab es nur einzelne Angebote und wenig Vernetzung für Frauen mit Kindern in der Wissenschaft. Die Idee kam aus Deutschland: Dort entstand vor einigen Jahren das Netzwerk„ mutterschaft-wissenschaft.de “, nachdem drei Genderwissenschaftlerinnen um Lena Eckert 2020 den Sammelband „Mutterschaft und Wissenschaft: Die (Un-)Vereinbarkeit von Mutterbild und wissenschaftlicher Tätigkeit“ (Springer Verlag) herausbrachten. Rahel More erfuhr davon über fachbezogene E-Mail-Verteiler. Die Erziehungswissenschaftlerin hat an der Uni Island in Reykjavík studiert und ihr Doktorat an der Uni Klagenfurt absolviert. „Ich habe zwei Kinder rund um das Masterstudium bekommen und mein drittes Kind im Doktorat“, sagt More. „Mir fiel auf, dass ich wenige Mütter in meinem Alter an den Universitäten sehe.“ Sie machte sich schlau, wer in Österreich eine Gruppe des Netzwerks leitet: Aber da war niemand. Also nahm sie es selbst in die Hand, den Ableger der Plattform Mutterschaft-Wissenschaft in Österreich zu gründen. „Mit Astrid Wirth von der Uni Wien koordiniere ich jetzt die Lokalgruppe Wien . Auch in Graz und Innsbruck sind nun Lokalgruppen sehr aktiv“, sagt More, die an der Uni Wien ein FWF-Projekt und an der Uni Graz ein ÖAW Forschungsprojekt leitet.
Austausch für Eltern an Unis Das erste österreichweite Netzwerktreffen gab es im Februar, über Zoom waren 60 Teilnehmerinnen dabei. Seither versammeln sich die Mütter in Wien über monatliche digitale Meetings mutterschaftundwissenschaft.univie.ac.at Das nächste Treffen am Mittwoch, 11. Dezember wird in Präsenz sein, organisiert mit der WU Wien Boku und Uni Wien: Im Medienlabor (Uni Wien, Sensengasse 3a, ab 13 Uhr) sind alle willkommen, die – laut Titel einer Diskussionsrunde – am „Austausch für Eltern mit Erziehungsaufgaben“ interessiert sind.
»Als Mutter, die wissenschaftlich tätig ist, lebt man ein Vorbild für Equal Care und Geschlechterrollen vor.«
Erziehungswissenschaftlerin, Uni Wien/Uni Graz
„Bei diesem Termin möchten wir Mütter und Väter erreichen, und alle, die sich als solche verstehen“, sagt More. In den Aktivitäten des Netzwerks Mutterschaft-Wissenschaft stehen sonst weibliche und weiblich gelesene Personen im Vordergrund: „Weil es besondere Herausforderungen an der Überschneidung von Geschlecht und Wissenschaft gibt.“ Oder wie es das deutsche Netzwerk auf seiner Website formuliert: „Aus der Perspektive des Wissenschaftsbetriebs ist die Arbeit von Frauen oft nur halb so viel wert, obwohl sie das Doppelte leisten.“
Die österreichischen Lokalgruppen haben Parallelen zu den Vorbildern in Deutschland, aber erarbeiten ihre Punkte angepasst an das jeweilige Unisystem und die Arbeitsbedingungen in Österreich. „Bisher haben die Forschungseinrichtungen unterschiedliche Angebote für Mütter und PIegende“, sagt More. Was es braucht, sind Orientierungshilfen in dem Fleckerlteppich an Familienservices und Gleichstellungs- und Diversitätsabteilungen.
Arbeitssituation oft schwierig
„Neben dem Austausch untereinander geht es uns auch um die Politisierung des Themas, weil Elternschaft im Wissenschaftsbetrieb heute nur sehr individualisiert behandelt wird“, sagt More. Coachings oder Beratungen für einzelne Mütter können die Lücken aber nicht füllen, die strukturell im System verankert sind. Viele Aspekte überschneiden sich mit anderen Gruppen wie dem Netzwerk „Unterbau“ oder der „IG Lektor:innen“ : Das ist einerseits die prekäre Arbeitssituation durch die Kettenvertragsregel, die Forschende nicht lang an der selben Institution arbeiten lässt. Andererseits hebt das Team auch Vorteile des Wissenschaftsbetriebs für Mütter hervor: Die Arbeitszeiten können flexibel sein und die kindliche Neugier zu Hause gute Inspiration für Forschungsideen. „Als Mutter, die wissenschaftlich tätig ist, lebt man ein Vorbild für Equal Care und Geschlechterrollen vor“, so More.
Vorschläge zur besseren Vereinbarkeit betreffen Forscherinnen mit Feldarbeit, Laborexperimenten oder Computertätigkeiten gleichermaßen: „Meetings nur in den Kernarbeitszeiten festlegen, Führungspositionen im Tandem teilen und Lehre im Teamteaching organisieren.“ Zudem sollen Mütter, die aus der Karenz zurückkommen, bei Organisatorischem entlastet werden.
Wer ist da nicht „normal“?
Rahel More selbst hat sich ihren Freiraum als dreifache Mutter und Bildungswissenschaftlerin an den Unis Wien und Graz erarbeitet: Ihr FWF-Projekt erkundet „Ableism“, also mögliche Diskriminierung von Menschen, die nicht all die Fähigkeiten haben, die insgesamt als „normal“ erachtet werden.
„Ableismus trifft als Herrschaftsverhältnis behinderte Menschen und alle, die in ihrer Lebensweise von der ,normalen‘ Leistungsfähigkeit abweichen“, sagt More. Das ÖAWProjekt an der Uni Graz dreht sich um Inklusion in der Kinder- und Jugendhilfe : „Da kann ich Ableismus als theoretischen Rahmen gut nutzen.“
Das Netzwerk „Mutterschaft in der Wissenschaft“ listet auf www.mutterschaftwissenschaft.de die Kontakte für die Lokalgruppen in Wien, Graz und Innsbruck auf. Am Mittwoch, 11. Dezember treffen sich Eltern mit Erziehungsaufgaben zum Austausch von 13 bis 17 Uhr im Medienlabor der Uni Wien, Sensengasse 3a, 1090 Wien.
https://www.diepresse.com/19149849/als-mutter-muss-man-nicht-allein-sein